Richard Goerges, Papier- u. Holzstoffabriken

Allgemeines

FirmennameRichard Goerges, Papier- u. Holzstoffabriken
OrtssitzKiauten (Ostpreußen)
Art des UnternehmensPapier- und Holzstoffabrik
AnmerkungenGelegen außerhalb der Stadt an der Rominte, deren Wasser für die Produktion genutzt wurde; lag abseits der Straße. Geht auf eine Gründung durch Papiermachermeister Zieser zur Zeit Friedrich Wilhelms I. (1718 ? 1740) zurück. 1938: Verwaltung (nach Gründung eines Papiergroßhandels): Königsberg, Neuer Graben 8a; dort 1929: Knochenstr. 23 [Anzeige]. Die Fabrik ist nach 1945 völlig verfallen, überwuchert und zugewachsen; in Königsberg entstanden an der Stelle des Firmensitzes Plattenbauten.
Quellenangaben[Birkner: Papierind (1938) I 48] Auskunft Herr W. Neufeldt (16.10.2013)
HinweiseAbb.: Anzeigen [Königsberger Tageblatt] 11359+a: 1929; b-d: 1935




Unternehmensgeschichte

Zeit Ereignis
1734 Gründung durch Papiermachermeister Zieser, gefördert durch Friedrich Wilhelm I.
25.03.1937 Tod von Guts- und Fabrikbesitzer Julius Goerges im Alter von 83 Jahren. Er wird am 30. März in Kiauten beigesetzt. - Nach seinem Ableben wird sein Sohn Richard Eigentümer der Papierfabrik. Die Leitung der Fabrik hatte der Vater aus gesundheitlichen Gründen bereits Anfang der dreißiger Jahre an seinen Sohn Richard abgegeben.




Produkte

Produkt ab Bem. bis Bem. Kommentar
Holzschliff 1929 Anzeige 1929 Anzeige "Holzstoff-Fabriken"
Packpapier 1938 [Birkner: Papierind (1938) I 48] 1938 [Birkner: Papierind (1938) I 48] auch Käserollenpapier (Anzeige)
Schrenz 1938 [Birkner: Papierind (1938) I 48] 1938 [Birkner: Papierind (1938) I 48]  
Tütenpapier 1938 [Birkner: Papierind (1938) I 48] 1938 [Birkner: Papierind (1938) I 48]  




Betriebene Dampfmaschinen

Bezeichnung Bauzeit Hersteller
Dampfmaschine   unbekannt




Betriebsanlagen

Zeit Betr.-Teil Fläche bebaut Gleis Whs Betr. in Kommentar
1938 Stammwerk           1 Papiermasch. 150 cm




Personal

Zeit gesamt Arbeiter Angest. Lehrl. Kommentar
1938 36 36      




Produktionszahlen

von bis Produkt im Jahr am Tag Einheit
1938   Schrenz   7 t




Allgemeines

ZEIT1945
THEMARuhm und Ende der Papiermühle Kiauten
TEXTEinst blühte in Ostpreußen zünftiges Papiermachergewerbe. Eine beachtliche Anzahl von Papiermühlen fand im Oberland der Provinz an den dort frisch und lebhaft strömenden Gewässern nicht nur die zum Mahlen des Papierbreis erforderliche Antriebskraft; die sprudelnden Bäche lieferten auch das quellklare Wasser, wie es zur Gewinnung blütenweißen Schreibpapiers benötigt wurde.
Hier soll jedoch nicht nur vom allgemeinen Aufbau und Betrieb von Papiermühlen überhaupt die Rede sein. Wir wollen vielmehr die schicksalhafte Geschichte einer bestimmten Papiermühle in Ostpreußen erzählen. Um dem Leser das lebendige Bild dieser Papiermühle in Kiauten im Kreis Goldap zu geben, müssen wir allerdings zum besseren Verständnis einige Daten der ostpreußischen Geschichte vorausschicken.
Das vom Deutschen Ritterorden begründete Ordensland Preußen war bekanntlich im Jahre 1525 weltliches Herzogtum geworden und war dann rund hundert Jahre später durch Erbfolge an Kurbrandenburg gefallen. Der große Kurfürst hinterließ 1688 seinem Nachfolger Friedrich einen wohlgeordneten Staat. Dieser eitle, prunksüchtige Nachfolger nahm am 18. Januar 1701 die Königswürde an. Er ließ den preußischen Staat zerfallen. Vor allem die ostpreußischen Grenzgebiete gerieten durch den allgemeinen Niedergang und Verfall des preußischen Staates in bittere Not. Einfallende Tatarenhorden verheerten Ostpreußen; ihnen folgte Pest. Der schwarze Tod entvölkerte und verödete besonders den Osten der Provinz.
Zum Glück für das Land folgte dem verschwenderischen Herrscher ein tatkräftiger König mit wahrhaft preußischer Staatsgesinnung; Friedrich Wilhelm I. (1718 ? 1740), den man ?Ostpreußens Wiederhersteller? genannt hat. Er baute auf, was sein eitler Vorgänger leichtfertig hatte verkommen lassen. Er gründete die Regierungshauptstadt Gumbinnen, förderte wirtschaftliche Unternehmungen. Er siedelte die aus ihrer Heimat vertriebenen Salzburger in den entvölkerten Grenzkreisen an. Diesem erfolgreichen Herrscher verdanken wir auch die Gründung und Förderung der Papiermühle Kiauten. Den geeigneten Mann für den Aufbau fand der König in dem Papiermachermeister Zieser, der im Auftrag des Königs das Gelände erkundete und im landschaftlich schönen Romintetal den für das geplante Werk günstigen Ort fand; dort, wo ein munteres Bächlein (im Volksmund ?de Fleet? genannt) in die Rominte mündet. Der König gab Zieser das für seine Mühle erforderliche Bauland als Eigentum; dazu ein beträchtliches Stück Ackerland sowie wertvolle Vorrechte. Mit der fürsorglichen Unterstützung des Königs baute Zieser sein Werk auf. Die neue Papiermühle erzeugte bald sauberes Büttenpapier mit dem Wasserzeichen Kiauten, das auch in des Königs Kanzelei in Berlin verwendet wurde. Es wird berichtet, dass der König wiederholt nach Kiauten kam, um sich vom erfolgreichen Wachstum des von ihm ins Leben gerufenen Werks zu überzeugen.
Nachdem wir nun unsere Papiermühle sozusagen unter Dach und Fach gebracht haben, ist es wohl angebracht, die innere Einrichtung, die Betriebsweise eines solchen Werks kennenzulernen. Als Rohstoff gebrauchten damals die Papiermühlen Lumpen (Hadern) von Leinen und Baumwolle, wie sie von Lumpensammlern geliefert werden. Die Hadern werden entstaubt (gedroschen), dann nach Farbe und Beschaffenheit sortiert. Der von Knöpfen und anderen Fremdkörpern gesäuberte Stoff wurde dann in Schneidemaschinen (Lumpenschneidern) zerkleinert, hierauf in kugelförmigen Kesseln mit Soda unter starkem Dampfdruck gekocht. Die gewaschene Masse wurde in sogenannten Hollendern durch eine rotierende Messerwalze zu feinem Brei vermahlen, bis keine Knoten oder Gewebeteile mehr sichtbar waren. Zur Erzeugung von Schreibpapier musste der Stoff überdies gebleicht und geleimt werden.
Der Papierbrei gelangte nun über den siebartigen Knotenfänger in die Bütte zu den Papiermachergesellen (Büttengesellen oder Schöpfer). Der Schöpfer schöpfte mit der ?Form?, einem feinen Sieb aus Messingdraht, aus der Bütte eine geeignete Menge Stoffbrei und ließ durch schüttelnde Bewegung das Wasser ablaufen, so daß sich auf dem Sieb ein verfilztes Blatt bildete. Dieses Blatt wurde auf einen Filz abgedrückt. Auf dieses Papierblatt kam wieder ein Filz, auf dem dann ein zweites Papierblatt abgedrückt wurde. Das wurde fortgesetzt, bis ein passender Stoß entstanden war, den man kräftig preßte, wodurch das Wasser ablief. Dann trennte man die Papierbogen von den Filzen und trocknete sie ähnlich wie Wäsche auf Leinen.
Wurde auch der Stoffbrei durch Maschinen, also überwiegend mechanisch erzeugt, so war doch das Schöpfen eine handwerkliche Kunst zünftiger, oft weither gewanderter Papiermachergesellen. Zu jener Zeit war die durch Wasserkraft betriebene Papiermühle noch ihrer landsachaftlichen Umgebung organisch eingefügt; ihr Meister und Inhaber war, wie seinerzeit in Kiauten, nebenher Landwirt.
Die erste, noch bescheidene Anlage der von Zieser begründeten Papiermühle wurde von den Söhnen und Enkeln nach und nach erweitert. Eine zweite Papiermühle wurde später an dem kleinen Bach oberhalb des Hauptwerkes aufgebaut. Die tatkräftigen Nachkommen des Gründers waren eifrig bestrebt, die Umgebung des Werkes schön zu gestalten. Sie errichteten ein stattliches, für hohen Besuch geeignetes Herrenhaus, unter dessen hohem Dach mehrere übereinander liegende Trockenböden zum Trocknen des Büttenpapiers eingebaut waren.. Auch der landwirtschaftliche Betrieb wurde vergrößert. Am Ufer der Rominte wurde ein großer Park mit ausländischen Bäumen angelegt. Die gärtnerischen Anlagen vor dem Herrenhaus wurden ?Paradiesgarten? genannt. Über ein Jahrhundert bewährte sich das kraftvolle Geschlecht der Zieser im rüstigen Aufbau ? dann erlahmte die Tatkraft. Die späteren Nachkommen lebten in ihrem Vergnügen, sie überließen die Leitung des Werks den angestellten Verwaltern. Hinzu kam der wirtschaftliche Niedergang der Papiermühlen überhaupt, die von Papierfabriken verdrängt wurden. Das Handwerk der Schöpfergesellen wurde nun von Papiermaschinen mechanisch geleistet. Besonders in den sogenannten Gründerjahren nach dem Krieg 1870/71 verendeten viele Papiermühlen, wenn sie sich nicht auf Maschinenbetrieb umstellen konnten. Der letzte Zieser in Kiauten verpachtete das alte Werk und übernahm die kleinere neue Fabrik, die er aber auch nicht halten konnte.
Pächter des alten Werks wurde der Papiermüller Julius Goerges sen., der Großvater des Dr. Hans Goerges. Der neue Betriebsleiter erwies sich als ein praktischer und vielseitig erfahrener Mann der einige Jahre später das Werk käuflich erwarb. Sein ältester Sohn, Julius Goerges jun., wurde Inhaber der neuen Fabrik.
Die Herstellung von Büttenpapier hatte man als unrentabel nun ganz aufgegeben. Als Rohstoff wurde jetzt in beiden Werken vornehmlich Altpapier und Holzschliff oder auch Zellstoff verwendet und daraus Packpapier hergestellt. Beide Werke, das alte wie das neue, waren vollmechanisiert und mit neuzeitlichen Papiermaschinen ausgerüstet.
Die alte Fabrik musste kurz vor dem 1. Weltkrieg den Betrieb einstellen. Die neue aber blühte auf, ihr Leiter wurde ein angesehener Mann, der einige hundert Morgen Ackerland erwarb. Sein Sohn Richard baute das Werk aus und richtete eine Tütenfabrik ein. Richard Goerges geriet im 2. Weltkrieg in britische Gefangenschaft. Im Herbst 1944, kurz vor dem Russeneinfall, wurde auch dieses zweite Werk endgültig stillgelegt. - So verendete nach 200jähriger Lebensdauer die Papiermühle Kiauten.
QUELLE[Goldaper Heimatbrief Nr. 23 vom 5. Dezember 1959: Aufsatz Dr. Hans Goerges]